"Die heutige 'Einbahnstraßen-Ausbildung' ist weder kind- noch entwicklungsgerecht. Am Anfang müssen verschiedene Wege und Richtungen aufgezeigt werden, das Generalmotto lautet: 'Vielseitiges Spielen macht den Meister!'" (Heiner Brand)

"...Ich war immer ein bewegliches Kind und wenn ein Ball dabei war, egal was für einer, war ich glücklich. Mittags bin ich aus dem Haus und abends heim, ob Regen oder Schnee war nebensächlich. Ich habe einfach gespielt, wie ich Spaß hatte: mal Tischtennis, dann Basketball oder Handball, also alles, was mit Bällen zu tun hatte..." (Mehmet Scholl)

Prof. Dr. Klaus Roth hat im Jahr 1998 die Ballschule Heidelberg gegründet. Sie soll das frühere Spielen auf den Straßen, Bolzplätzen und Wiesen ersetzen. Die Idee schlug von Anfang an ein wie ein „unhaltbarer Torschuss“. Heute arbeitet die Ballschule mit Kindergärten, Schulen und Sportvereinen zusammen und bietet den Kindern die Chance, in freier Form das „ABC des Spielens“ zu erlernen. Dieses Ballschul-ABC soll den Kindern genauso vertraut werden, wie das normale ABC. Ähnlich wie Buchstaben das Baumaterial für Wörter und Sätze bilden, besteht das Ballschul-ABC aus Bausteinen, die in mehr oder weniger allen Sportspielen vorkommen. Die Kinder lernen mit Anforderungen umzugehen, die für die Familie der Sportspiele typisch sind. In diesem Sinne werden sie z. B. geschult, „Lücken zu erkennen“, sie verbessern ihre Ballkoordination und lernen die Flugbahn von Bällen einzuschätzen.

Die Ballschule umfasst vier Stufen für Kinder unterschiedlichen Alters. Den Startpunkt bildet die Baby-Ballschule (Stufe 1). Sie beginnt z. T. schon mit Kindern, die gerade das Laufen erlernt haben. In der Regel richtet sich aber die erste Ausbildungsstufe als so genannte Mini-Ballschule auf Klein- und Vorschulkinder im Alter zwischen 3 und 6 Jahren.

Die sportspielübergreifende Ballschule für Grundschulkinder eignet sich vor allem für die 6- bis 8-Jährigen (Stufe 2). Auf der dritten Ebene schließen sich die sportspielgerichteten Ausbildungen an. Sie sind schwerpunktmäßig für 8- bis 11-jährige Kinder gedacht. In der Ballschule wird hier von zwei Gruppierungen ausgegangen, die als Rückschlagspiele und als Zielschussspiele bezeichnet werden. Innerhalb der beiden Kategorien werden die Rückschlagspiele-Einzel und die Rückschlagspiele-Mannschaft sowie die Torschussspiele und die Wurfspiele voneinander abgegrenzt.

Die vierte und letzte Stufe betrifft das Spielen in der Freizeit und zu gesundheitlichen Zwecken oder das zielgerichtete Erlernen einzelner Sportspiele. Bei einer konsequenten Umsetzung des Ballschul-Modells werden die (mittlerweile) 11- bis 12-jährigen Kinder also erst nach einer mehrjährigen sportspielübergreifenden und -gerichteten Grundausbildung spezialisiert.

Breiten-/Fitnesssport Nachwuchsleistungssport

Gesundheit / Erholung
Freude / Vergnügen

individuelle Höchstleistung
Freude / Vergnügen

Stufe 4 Stufe 4

Spielen:

  • mit Fitnessorientierung
  • mit Gesundheitsorientierung
  • mit wenig zielorientiertem Training
  • ohne Wettkampfdruck

Volleyball
Tennis
Badminton
Fußball
Hockey
Basketball
Handball...

Stufe 3

Ballschule Rückschlagspiele (Einzel und Mannschaft)
Ballschule Wurfspiele
Ballschule Torschussspiele

Stufe 1 Stufe 2
Mini-Ballschule Ballschule - ABC für Spielanfänger

Die Grundphilosophie der Ballschule besteht aus drei Leitlinien. Die erste betrifft die Entwicklungsgemäßheit. Kinder sind keine verkleinerten Erwachsenen und Vorschulkinder sind keine verkleinerten Grundschulkinder. Daraus folgt, dass die Buchstaben ABC auf den verschiedenen Stufen für unterschiedliche Inhalte stehen. In der Mini-Ballschule werden je 6 elementare motorische Fertigkeiten, einfache Spielfertigkeiten und koordinative Fähigkeiten vermittelt, in den Stufen 2 und 3 geht es um taktische, technische und koordinative Basiskompetenzen. Das nachfolgende Schema zeigt exemplarisch die Inhalte der sportspielübergreifenden Ballschule (Stufe 2). Die 6- bis 8-jährigen Kinder führen Spiele und Übungen zu den dort angeführten 3 x 7-Spiel­aufgaben (= Bausteinen) durch. Der Auswahl und Benennung der Bausteine liegen langjährige Forschungen der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Klaus Roth zugrunde.

Taktik (A) Koordination (B) Technik (C)
Anbieten & Orientieren Ballgefühl Flugbahn des Balles erkennen
Ballbesitz individuell sichern Zeitdruck Mitspielerposition/-bewegungen erkennen
Ballbesitz kooperativ sichern Präzisionsdruck Gegenspielerposition/-bewegungen erkennen
Überzahl individuell herausspielen Komplexitätsdruck Laufweg zum Ball bestimmen
Überzahl kooperativ herausspielen Organisationsdruck Spielpunkt des Balles bestimmen
Lücke erkennen Variabilitätsdruck Ballbesitz kontrollieren
Abschlussmöglichkeit nutzen Belastungsdruck Ballabgabe kontrollieren

Wie wird in der Ballschule gespielt und geübt?

In der Ballschule wird nicht einfach Fußball, Handball, Basketball oder Hockey gespielt. Zum Einsatz kommen vielmehr eigens für die Ballschule konstruierte Baustein-Spiele und Baustein-Übungen. Ihnen ist gemeinsam, dass jeweils eine oder mehrere der Anforderungen aus dem ABC der Miniballschule, der sportspielübergreifenden Ballschule oder den sportspielgerichteten Ballschulen in hoher Dichte zu bewältigen sind. Das „Eierlegen“ und das „Bälle balancieren“ sind zwei Beispiele aus dem sportspielübergreifenden ABC für 6- bis 8-Jährige.

Eierlegen

Bausteine:

Lücke erkennen, Ballbesitz kooperativ sichern, Anbieten & Orientieren

Spielidee:

Zwei Teams spielen gegeneinander um den Ballbesitz. Im Spielfeld werden zwei bis fünf Gymnastikreifen mehr als die Anzahl der Mitspieler in einem Team verteilt. Die Mitspieler passen sich den Ball untereinander zu. Wer im Ballbesitz ist und sich unmittelbar an einem Gymnastikreifen befindet, stoppt den Ball im Reifen ab. Dafür gibt es einen Punkt, vorausgesetzt, es ist im Moment des Stoppens kein gegnerischer Fuß im Reifen.

Bälle balancieren

Bausteine:

Ballgefühl, Präzisionsdruck

Übungsausführung:

Einen Ball mit verschiedenen Körperteilen balancieren:

  • auf gestreckten Unterarmen
  • auf dem Kopf
  • auf dem Fuß
  • auf der Hand.

Von großen zu kleinen Balancierflächen wechseln. Zunächst am Ort und dann in der Bewegung.

 

Bei der Durchführung der Spiele und Übungen sind die zweite und dritte Leitlinie der Ballschule von Bedeutung: das Prinzip der Vielseitigkeit und das Prinzip des freien, unangeleiteten Lernens. Mit diesen beiden methodischen Festlegungen grenzt sich die Ballschule von allen anderen traditionellen Vermittlungsverfahren ab. Kinder sind von Natur aus Allrounder und keine Spezialisten. Die meisten Baustein-Spiele und Baustein-Übungen können sowohl mit der Hand, dem Fuß oder dem Schläger ausgeführt werden. Derartige breite Erfahrungssammlungen haben viele Vorteile. Zahlreiche Studien aus dem Ballschulteam zeigen, dass sie langfristig betrachtet weitaus größere motorische und taktische Lernfortschritte ermöglichen als ein spezifischer Einstieg in die Welt der Spiele. Ganz wichtig ist, dass eine umfassende, vielseitige Ausbildung auch dazu führt, dass Kinder und Jugendliche nicht wieder frühzeitig aus dem Sport aussteigen.

Die Schwerpunktlegung der Ballschule auf ein unangeleitetes „Spielen lassen“ beruht auf der Erkenntnis, dass wir Menschen lernen können, ohne uns ausdrücklich darum zu bemühen und ohne zu wissen, was wir gerade lernen. Wir sind in der Lage, uns Wissensbestände und Können intuitiv, unbewusst, spielerisch-beiläufig anzueignen. In der Wissenschaft spricht man von implizitem Lernen. In der Ballschule macht dementsprechend „freies Spielen den Meister“ und es gilt das Motto „Probieren geht vor Studieren“. Die Schüler werden nicht fortwährend instruiert und korrigiert. Wenn ein Kind beim Spielen dauernd gesagt bekommt, worauf es zu achten hat, dann wird seine Aufmerksamkeit eingeengt. Es schaut dann – je nach Anweisung – nur noch auf einen Mitspieler oder Gegenspieler und wird blind für das restliche Spielgeschehen. Das machen sich übrigens auch Zauberer zunutze. Sie lenken die Konzentration ihres Publikums auf eine Sache. So merkt man meistens nicht, wie z. B. der Hase in den Hut gelangt. Und mit der Einschränkung des Blicks geht eine Einschränkung der Ideen und der Kreativität der Kinder einher.