Die Kinder dieser Welt wachsen kulturell unterschiedlich auf. Aber überall ist das Spielen mit Bällen sehr beliebt. In Afrika heißt es, dass die Jungen mit einem Ball an den Füßen geboren werden und die erste Liebe der Kinder in Brasilien ist rund. An dem 8000 km langen Seitenaus Atlantik gilt das freudvolle Motto „dribbeln und dribbeln lassen!“.
In Europa – und vor allem in Deutschland – spielen Kinder heute anders als ihre Eltern oder Großeltern. Früher wurden Straßen, Bolzplätze und Wiesen für verschiedene Ballspiele genutzt. Jetzt fahren dort Autos oder es gilt „Betreten verboten!“. Wir billigen Kindern in Flächennutzungsplänen zumeist weniger Raum zu als Parkplätzen. Gespielt wird deshalb immer häufiger nur noch mit der Maustaste; statt durch einen Fallrückzieher wird der Ball eben mit einem „Klick“ ins Tor befördert.
Die Folgen liegen auf der Hand. Unsere Kinderwelt ist keine Bewegungswelt mehr, nicht wenige Experten sprechen von verödeten Bewegungslandschaften, Sitzfallen oder einer sitzengebliebenen Gesellschaft. Das evolutionäre Erbe von Kindern, ganz natürlich den Rhythmus zwischen Bewegung, Ruhepausen und Nahrungsaufnahme zu finden, droht durch die heutigen Lebensbedingungen allmählich verloren zu gehen. Sportwissenschaftliche und sportmedizinische Studien sprechen hier eine deutliche Sprache. Nur noch 21 % unserer Kinder erreichen nach internationalen Richtlinien (WHO) das Mindestmaß an körperlicher Aktivität, das für eine gesunde und harmonische Persönlichkeitsentwicklung notwendig ist. Und der bewegungsarme Lebensstil verfestigt sich. Im Jugendalter bewegen sich nur noch 12 % der Jungen und 8 % der Mädchen ausreichend und leider zeigen Langzeituntersuchungen, dass aus „faulen“ Kindern mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch „faule“ Erwachsene werden. Die Zweige – so sagt ein altes Sprichwort – geben Kunde von der Wurzel.
Die Konsequenzen dieses sich früh einprägenden Lebensstils sind dramatisch und werden nach wie vor unterschätzt. Wir sind von der Natur nun einmal nicht mit Rädern und Ökomotor ausgestattet worden, sondern mit Beinen, die unsere Vorfahren – laut Aussagen von Evolutionsmedizinern – für eine tägliche Laufstrecke von bis zu 30 km genutzt haben. Damit sind wir bei der ersten von vier wichtigen negativen Auswirkungen auf die Entwicklung der heutigen Kinder. Das Niveau der Ausdauer- und Kraftfähigkeiten, aber auch der anderen motorischen Basisfähigkeiten – Schnelligkeit, Beweglichkeit und Koordination – hat seit Mitte der 1980er-Jahre um 15 % nachgelassen. Internationale Studien weisen darauf hin, dass eine PISA-Untersuchung zur Motorik für die deutschen Kinder kaum positiver ausfallen würde als in den anderen schulischen Lernfeldern. In einer gerade abgeschlossenen kulturvergleichenden Studie zur Allgemeinmotorik haben Kinder und Jugendliche aus Deutschland den vorletzten Platz belegt, abgeschlagen hinter den Heranwachsenden z. B. aus Brasilien, Japan, Polen und Südafrika. Bedenklich ist in diesem Zusammenhang, dass sich sowohl bei Mädchen als auch bei Jungen in den vergangenen Jahrzehnten die Kluft zwischen den leistungsstarken und leistungsschwachen Kindern vergrößert hat. Die Erstgenannten verbessern sich eher, die Letztgenannten verschlechtern sich weiter.
Die fehlende Freude am „sich Bewegen“ und Defizite in der motorischen Leistungsfähigkeit sind zweitens alles andere als Garanten für ein „gesundes Aufwachsen“. 15 % der Kinder in Deutschland sind mittlerweile übergewichtig, mit deutlichem Trend nach oben. Es besteht die Gefahr, dass in nicht allzu ferner Zukunft die Gleichung „Generation @ = Generation f@t“ tatsächlich Realität werden könnte. Studienresultate zeigen, dass hierfür nicht eine vermehrte Kalorienzufuhr, sondern der verminderte Bewegungseinfluss ursächlich ist. Denn betrachtet man das Ernährungsverhalten von Kindern, dann wird erkennbar, dass der tatsächliche Fettverzehr seit Mitte der 1990er-Jahre eher wieder gesunken ist.
Neben den Muskeln und Knochen leiden drittens auch Stoffwechselvorgänge unter einem körperlich inaktiven Lebensstil. Bewegungsmangel ist einer der Hauptgründe dafür, dass sich die so genannte Altersdiabetes verbreitet und zunehmend auch jüngere Menschen betrifft.
Bekannt ist viertens mittlerweile auch, dass Toben die schulischen Lernleistungen fördert. Toben macht zwar nicht schlau im Sinne von intelligent, aber es verbessert die so genannten exekutiven Funktionen. Damit sind lernförderliche Kompetenzen wie die Konzentrationsfähigkeit, die Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit oder das Arbeitsgedächtnis gemeint. Diesen positiven Einfluss bestätigen inzwischen mehr als 200 amerikanische, australische und kanadische Studien. Das Erziehungsministerium in Kalifornien z. B. hat fast eine Million Schulkinder untersucht und festgestellt, dass sich fitte Kinder besser konzentrieren können und in der Schule erfolgreicher sind. Bewegungs-Neurowissenschaftler erklären dies damit, dass breite motorische Erfahrungssammlungen zur vermehrten Synapsenbildung, zur Neubildung bzw. zum Erhalt von Gehirnneuronen, zur gesteigerten Produktion von neurotrophen Faktoren usw. führen.
Es gibt also viele gute Gründe etwas gegen den Bewegungsmangel zu tun und damit Ersatz für den Wegfall der früheren Straßenspielkultur zu schaffen! Die Ballschule möchte hierzu einen Beitrag leisten und versteht sich als so etwas wie ein Anwalt für eine „Bewegte Kindheit“!